
Wahre Geschichten vom einfachen Leben in Nepal
Von Blumenkindern, kleinen Göttinnen und dem Glück. Von einer großen kleinen Revolution in einem kleinen großen von der Welt fast nicht beachteten Land, von Misha und ihrem Büffel, den sie liebt, weil sie ihn braucht und einer abenteuerlichen Busfahrt gaanz oben auf dem Dach (…der Welt)
"Bekifft
auf´m Himalaja
zu sitzen
is bestimmt
ein geiles Gefühl
gewesen."
(Jung-Hippie im Sommer 2007
auf der „Hohe Straße“ in Köln )
Ort: Kathmandu, Nepal. - Zeit: Fünf Uhr nachmittags, nach der Arbeit.
Büffelwäsche am Bagmati-Fluß im Zentrum Kathmandus. Ein zehnjähriges Mädchen steht breitbeinig vor einem Wasserbüffel. Hin und wieder schaufelt es mit beiden Händen Wasser über das Büffelgesicht. Minutenlang. Dann watet das Kind zum Ufer und rupft ein paar Grasbüschel aus dem Schlamm. Der Büffel-Bulle suhlt sich derweil im seichten Fluß.
Das Mädchen, sie heißt Misha, kommt zurück und schrubbt zärtlich Nacken, Stirn und Wangen des Tieres.
Dann rubbelt sie fester an den Bakkenknochen, sanft am Mund. Der Büffel öffnet langsam das Maul einen Spalt weit. Weiche Wassergüsse benetzen nun die geschlossenen Augenlider, die Brauen, die Stirn, die Ohren, den Nacken, den Hals. Dann kniet Misha sich auf die linke Schulter des Tieres und reibt Flöhe, Zecken und eingetrockneten Dreck aus der Haut des mächtigen Büffel-Bullen.
Jetzt setzt sie sich rittlings auf den Büffelrücken, walgt und knetet ihn und rutscht dabei - nach und nach - weiter nach hinten, scheuert und schabt, streichelt und massiert das gewaltige Tier mit Händen und Füßen. Mit einer Hand streichelt sie schließlich sanft seine Lippen. Der Büffel-Bulle scheint dies mit all´ seinen Sinnen zu genießen. Für ihn ist es das erholsame Ende eines langen Arbeitstages in den Reisfeldern
des fruchtbaren und immergrünen Kathmandutals an den Füßen der höchsten Berge der Welt, des Himalaja.
Diese sanfte Prozedur dauert etwa eine Stunde. - Später erzählt Misha, daß sie den Büffel liebe. Sie liebe den Gott in ihm. Sie liebe ihn, weil sie ihn brauche. - Ohne Büffel keine Reisernte, ohne Reisernte keine Rupees, ohne Rupees kein Gemüse, keine Hühner, keine Ziege, keine Schokolade, kein khushi - also kein Glück. Dann lacht sie selbstbewußt und keck zu uns herüber und ihre Zähne strahlen mit dem Eis der Achttausender um die Wette. Namaste - ich grüße die Göttin und den Gott in Dir.
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„Ich grüße den Gott und die Göttin in Dir“. - Spiritualität ist im Himalaja allgegenwärtig. Die damit verbundene Ausstrahlung von Wärme und Würde, Güte und Gelassenheit ist vielleicht das, was viele Besucher so beeindruckt und die Bewohner der Bergregionen so anziehend macht. Sie glauben, daß Pflanzen und Tiere eine Seele und göttliche Eigenschaften haben. - Namaste, ich grüße die Göttin und den Gott in Dir!
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"Von hier aus…," und mit weit ausholender Geste zeichnet Klaus Peter Grätz nach, was er mir beschreibt, „…haben wir einen schönen Ausblick auf die Himalaja-Kette. Wenn wir uns umdrehen, können wir bis nach Indien rein ins Terai und noch weiter bis hinunter in die indische Tiefebene blicken. Von hier oben kann man ganz im Osten sogar den Mount Everest sehen, den höchsten Berg der Erde.
Mit dem Berliner Reiseveranstalter bin ich in der warmen Mittagssonne gemächlich auf den Pulshoki gewandert. Mit etwa 3.000 Metern ist der Pulshoki der höchste und immergrüne „Hügel“ des südlichen Kathmandutals. „Berge“ beginnen hier erst bei 5.000 Metern über dem Meer.
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Hier in Nepal fand die amerikanische Hippie-Bewegung in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren ihr Shangri La, ein Paradies auf Erden, in dem die Menschen das Idealbild menschlicher Gemeinschaft in aller Einfachheit leben. Das milde Klima im Schutz der Berge, der fruchtbare warme Boden, auf dem Reis, Weizen, Obst und Gemüse prächtig gedeihen und Marihuana wild und im Überfluß wächst - dieses Land schien wie geschaffen für ein friedvolles und leichtes Leben.
Und so kamen sie in Scharen. Kahlgeschoren und bärtig. In hohen Lederstiefeln oder barfuß, in buddhistischen safranfarbenen Gewändern oder im schlichten Weiß der Hindus. Gekleidet in von Schneidern der Stadt kunstvoll gefertigten Hemden aus Samt und Seide - oder auch nackt. Sie kamen mit Perlen geschmückt und Edelsteinen in der Nase, unterernährt oder dick. Sie waren drogenabhängig und apathisch. - Oder auch hellwach. Auf ihren Lippen die Worte „Liebe“ und „Frieden“, love & peace - Sie genossen die Freiheit, Haschisch zu rauchen, Lotosblumen zu essen und das unbekümmerte Entgegenkommen freundlicher offener Menschen, die neugierig, erstaunt und liebevoll diese seltsamen Neuankömmlinge aufnahmen. - Namaste. Ich grüße den Gott und die Göttin in Dir.
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Es sind nur wenige Schritte von hier, dem zentralen Basaar in Kathmandu, zu den Vierteln, in denen die Hippies wohnen. "Freakstreet" nennen die Nepali deshalb auch eine der Straßen. Und nur wenige Schritte sind es von hier zu einem der weiten, hellen Hinterhöfe der Stadt, in der das Leben noch heute so abläuft wie im europäischen Mittelalter.
Die Sonne fällt jetzt schräg in den Hof und teilt ihn in Licht und Schatten.
Es ist etwa vier Uhr. Es ist ein warmer, sonniger Nachmittag im Mai 2007 unserer Zeitrechnung. Mitten in Kathmandu. In Nepal ist es bereits der zweite Monat des Jahres 2064. „Und immer wieder die Zeit“. Ich sitze auf einem warmen großen Stein in der Mitte des Hofes. Jedes der Häuser hat einen eher kleinen, aber dafür üppig mit dicht an dicht gestellten Topfblumen geschmückten Dachgarten und jeweils einen kleinen Balkon mit allerlei Kochgeschirr aus Stein, Eisen, Ton, Kupfer und Blech. Winzig gelbe Früchte, die die Nepalesen Timila nennen und die köstlich süß schmecken, hängen von purpurroten Blüten durchsetzt die rostigen Eisengitter der drei- bis vierstöckigen Häuser herab.
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Kristallklares Wasser, das dahineilt durch ein Bett aus geschliffenen Steinen, weiß und riesig wie prähistorische Eier, schießt aus einem Rohr der Wasserpumpe über dem Brunnen auf weiße, nassglänzende Steine. Drumherum hocken und stehen zehn Mädchen zwischen sieben und zehn Jahren alt.
Eines in dunkelblauem Hemd und rotbraunem Rock, wäscht sich gerade den Staub von den Füßen. Mit einer Blechschaufel wirft ein anderes Mädchen Reis in den leisen Wind. Ein anderes verstärkt den Luftzug mit einem großen Fächer, um so die Spreu vom Reis zu trennen. Die derart vorgerei-nigten Reiskörner schaufelt das erste Mädchen regelmäßig zu großen Haufen zusammen.
Sieben solcher Reishaufen sind auf der Sonnenseite des Hofes verteilt und werden nun nach und nach mit Matten für die Nacht abgedeckt. Etwa fünfzig Mädchen und Frauen, Jungen und Männer zähle ich, die Gemüse putzen, Wäsche waschen, Reis trocknen oder das arbeitsame Geschenen betrachten. Jeder macht was.
Nahezu jedes der Mädchen hat ein noch kleineres Kind auf dem Arm. Hinter einigen der weit offen stehenden Fenster hocken Männer bei dampfendem Tee zusammen. Sie schwatzen, spielen und scherzen. Die Jungs lassen ihre blauen, weißen, roten, grünen und gelben Reispapierdrachen in den klaren, sonnigen und heute leicht windigen Mainachmittag steigen oder laufen vergnügt hinter den Hunden her. Sie wirken unbekümmert, heiter, irgendwie sorgenfrei und - glücklich.
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Was braucht ein Kind in Nepal, um glücklich zu sein?
Dagmar Fuchs, die für zwei Jahre im nepalesischen Erziehungsministerium Bildungsprojekte betreut, beantwortet diese Frage so:
"Ich glaube, daß das ganz schwierig ist, diese Frage zu beantworten, weil es etwas vermischt irgendwie: Was wir als „Glück“ definieren oder was wir als „Glück“ empfinden, ist überhaupt nicht gleichzusetzen mit dem, was ein Nepali als Glück empfinden würde! Also wenn wir jetzt als Westeuropäer auf die nepalesischen Lebensverhältnisse gucken, dann ist ganz klar, daß wir da sehr viel mehr Probleme entdecken, als die Menschen hier in Nepal selber, die in dieser Situation leben und sich mit dieser Situation abgefunden haben, weil halt Alternativen gar nicht offenstehen.
Das ist aber unsere Sicht! Die Menschen in ihrer Situation mögen durchaus sagen: Glück? - Bei gutem Essen zum Beispiel ´khushi lak tsah`. Oder wenn die Familie wieder zusammenkommt, wenn eine Ziege geschlachtet wird. Bei solchen Gelegenheiten würden Nepali sagen: Das ist Glück. ´Khushi.´ Eine gute Ernte natürlich. Das ist ´khushi´. Das bedeutet Glück. Oder wenn eine Kuh gut Milch gibt oder ein gesundes Kälbchen gebärt. Oder das Wetter: Daß dieses Jahr der Monsoon rechtzeitig gekommen ist. Das sind Glücksempfindungen. Ein gutes Essen, das ist natürlich wahr, ist ein Glücksmoment. Wie oft passiert das bei uns? Hier sind diese Situationen unglaublich rar! Wenn die Nepalesen einmal im Jahr eine Ziege schlachten, das ist dann natürlich ein Fest! So wie bei uns Weihnachten vor hundert Jahren."
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"Ich bin Pasang. Pasang aus Bhaktapur. Pasang, der Geschichtenerzähler. Ich möchte euch die Geschichte der kleinen Göttin erzählen:
Auf den Riesenbergen da vorne, da wohnen die Götter. Die Berge des Himalaja sind ja der Sitz der Götter! Das haben mir die Erwachsenen erzählt. Ich hätte ja gerne selbst mal so einen Gott gesehen. Das muß ja hochinteressant und spannend sein da oben auf den Riesenbergen mit all den Göttern. - Das denken sich bestimmt auch die Bergsteiger, die immer wieder auf die Riesenberge hochklettern um dann für ein paar kleine Augenblicke von da ganz hoch oben runter auf uns Menschen zu gucken, wie die Götter. Aber eben immer nur ganz kurz. Denn lange kann man es als Mensch da oben ja nicht aushalten. Es ist ja bitterkalt da oben und man kann da kaum atmen, sowenig Luft ist da auf den Gipfeln der Riesenber-ge.
Wisst ihr was, ich ärgere mich sehr über die Bergsteiger! Wisst ihr auch, warum? - Weil die nämlich die Götter stören! So, jetzt wisst ihr´s! Die haben das nämlich überhaupt nicht gern, die Götter, wenn da immer wieder Menschen atemlos ankommen und atemlos rumstehen und atemlos rumgaffen und atemlos rumknipsen und atemlos da ganz oben liegenbleiben...
Deshalb sind jetzt auch viele Götter umgezogen! Ja, das war die einzige Möglichkeit. Die sind jetzt alle auf einem anderen Berg. Das ist der dahinten, der Fischschwanz-Berg. Seht ihr auch, warum der so heißt? Der Fischschwanz-Berg heißt so, weil er so aussieht wie der Schwanz von einem Fisch. Genauso."
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Pasang und ich sitzen im Reisfeld so ungefähr 200 Kilometer östlich von Kathmandu ganz in der Nähe von Phokara.
"Die Kinder...,
…erzählt Pasang, ja, die Kinder würden auch gerne mal so einen Gott oder so eine Göttin ganz aus der Nähe sehen. Aber auf den Riesenbergen ist es ja bitterkalt und ungemütlich. Einfach nicht zum Aushalten. Und die Menschen, die schon lange in Nepal wohnen, die wissen ja auch, daß die Göttinnen und Götter ihre Ruhe haben wollen und das auch in Ordnung so ist.
Die Kinder und Erwachsenen in Nepal sind nämlich schlau, erzählt Pasang weiter und legt sich dabei auf ein geschnittenes Bündel Reis während er von den Göttinnen, den Göttern, den Bergen und den Menschen in Nepal erzählt.
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„Die Kinder und Erwachsenen in Nepal haben sich überlegt, daß sie sich der Einfachheit halber eine Göttin im Kathmandutal suchen! Ist das nicht schlau? Sie suchen sich einfach eine Göttin hier unten wo es warm ist und wo der Reis wächst. Und genug Luft zum Atmen ist auch da. Wie findet man aber so eine Göttin? Das ist gar nicht so einfach wie ihr euch vorstellen könnt. Dazu braucht man nämlich Mönche.
Die besten, schlauesten und höchsten Mönche im ganzen Himalaja werden gebraucht, um so eine Göttin zu finden! Und die suchen sie in ganz bestimmten Familien. Ein Mädchen muß es natürlich sein. Ganz jung und makellos muß es sein. Es darf noch keine Frau sein und keine einzige Wunde oder Narbe am Körper haben. Keinen einzigen auch nur klitzekleinen Tropfen Blut darf sie verloren haben. Ihr könnt euch vorstellen, wie schwer das ist. - Das Ganze dauert also ganz schön lange, bis diese Mönche so ein Mädchen gefunden haben, die noch nie in ihrem Leben geblutet hat. Und jetzt kommt´s: dieses kleine Mädchen muß auch noch an einem ganz bestimmten Tag geboren sein!
Ihr könnt euch also vorstellen, daß es ganz schön lange dauern kann, bis die höchsten Mönche des Landes mit den höchsten Bergen der Welt so ein besonderes Mädchen gefunden haben!
Aber ihr könnt euch nicht vorstellen, wie groß die Freude ist, wenn die Mönche endlich die kleine Göttin gefunden haben. Dann wird in windeseile der kleine Tempel am wichtigsten und schönsten alten Markt in Kathmandu, der Hauptstadt von Nepal, herausgeputzt und mit frischen Blumen ge-schmückt. So ein richtiger kleiner Palast wird das, in dem es immer gut riecht und in dem es immer aufgeräumt aussieht und in dem es immer etwas Leckers zu essen gibt und auch immer süßen Nachtisch gibt is ja eh klar. Dafür sorgen ja die Mönche.
Und dann kommt der ganz große Tag: Die kleine Göttin zieht in ihren ganz großen kleinen Tempel ein.
Sie bekommt goldene Kleider und einen wunderschönen Kranz aus roten und gelben Blumen, damit sie auch aussieht wie eine richtige Göttin. Auf die Stirn malen ihr die höchsten Mönche ein drittes Auge, damit die kleine bekränzte Göttin noch besser sehen kann. Und: Die höchsten Mönche müssen genau das machen was die kleine Göttin will! Unglaublich, aber wahr! Dies ist ja eine wahre Geschichte vom einfachen Leben der Menschen in Nepal. „Die bekränzte Göttin zeigt es an, in diesem Lande geht´s voran“ - aber das ist ja schon wieder eine ganz andere Geschichte.
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Es ist wirklich eine wahre Geschichte. Danita Shakya, ein 13 Jahre altes Mädchen aus Kathmandu war Kumari, die kleine Göttin. Sieben Jahre lang lebte das Kind im Glanz ihres kleinen Tempels. Verlassen aber durfte sie ihn lediglich zu den drei, vier großen Festen im Jahr, die zu ihren Ehren veranstaltet wurden. Wenn die höchsten Mönche auch sonst alles machten, was die „kleine Göttin“ verlangte - raus zu den anderen Kindern zum Spielen ließen sie sie nie!
Im Alter von sechs Jahren war Danita Shakya als Wiedergeburt der Göttin Taleju, der Schutzgöttin der nepalesischen Königsfamilie, von den höchsten Mönchen auserwählt und in den Tempel gesperrt worden. Dort saß sie dann. Und empfing - mit Geschenken überhäuft das Volk, auch ihre Eltern und Geschwister und Verwandten. Wer sie sehen wollte, mußte aber erst um eine Audienz bitten und dafür bezahlen, Opfer und Geschenke bringen.
Auch der König kam jedes Jahr einmal zu ihr um sich von ihr die thika, einen roten Farbtupfer auf der Stirn, zu holen. Das ist für den König von Nepal die alljährliche Garantie für Wohlstand, Wohlergehen und ein weiteres Jahr Herrschaft. Pustekuchen! Damit ist es jetzt nämlich nach mehr als 230 Jahren vorbei. - Aber das ist schon wieder eine andere Geschichte! Und wie lange dauern eigentlich 230 Jahre…?
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Und so geht es der kleinen Göttin sehr gut, erzählt Pasang weiter, sie hat alles was sie braucht, die Mönche machen, was sie will und sie kann sogar, wenn sie das möchte, auch mal ganz für sich alleine sein und lesen. Aber die kleine Göttin..., erzählt Pasang weiter, ...ist oft ganz traurig. Denn sie kann nie mit ihren Geschwistern spielen oder mit ihrer Mama oder ihrem Papa schmusen. Die dürfen nämlich ihre Tochter nur am Fenster ihres kleinen Palastes besuchen und ihr Geschenke bringen. Und wenn sie dann so am Fenster sitzt die kleine bekränzte Göttin in ihrem goldenen Kleidchen, dann ist sie immer ganz traurig. Das kann jeder sehen, erzählt Pasang. Es kommt ganz selten vor, daß die kleine Göttin einmal lacht. Dann muß ihr schon jemand einen besonders guten Witz erzählt haben oder sie muß sich schon sehr über ein selbst gemaltes Bild freuen ;-))
Die kleine Göttin lacht nur ganz selten. - Die anderen Kinder in Nepal, die lachen ganz oft. Und die singen zusammen. Und tanzen. Und springen über Pfützen und Müllhaufen. Ach, daran darf die kleine Göttin gar nicht erst denken. Dann wird sie nur noch trauriger.
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Trotzdem träumt sie manchmal davon, mit ihren Freundinnen Seilchen zu springen oder einen Reispapierdrachen hoch in die klaren Lüfte der Berge steigen zu lassen, höher und höher... - Aber die kleine Göttin kann den anderen Kindern immer nur vom winzigen Fenster ihres kleinen Palastes aus zusehen. Aus dem Palast lassen sie die höchsten Mönche im Himalaja ja nicht heraus. Und so sitzt sie da und schaut traurig nach draußen. Wie ein Vogel in einem goldenen Käfig.
Aber manchmal, erzählt Pasang, der Geschichtenerzähler aus Bhaktapur, weiter, manchmal wünscht sich die kleine Göttin, daß sie wieder zuhause sein könnte. Bei ihren Geschwistern, daß sie zusammen Wasser holen oder Holz sammeln und mit den Hunden toben und sich in den Reisfeldern verstecken. Dann träumt die kleine Göttin, wie ein ganz normales Kind zu sein, die Büffel im Bagmati-Fluß zu waschen und zu schrubben und den Eltern bei der Arbeit zu helfen und mit den anderen Kindern solange zu schwatzen wie sie will, wenn sie abends am Brunnen Wasser holt für ein einfaches, leckeres nepalesisches Abendessen...
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6. April 1990: Zum erstenmal in der Geschichte Nepals demonstrieren Menschen öffentlich gegen König Birendra, verlangen seinen Rücktritt, freie Wahlen und Demokratie. Loktantra! - Jindabaad, jindabaad! - Echte Demokratie wollen wir!
"Wir wollen endlich mitreden !" - Auf diese knappe Formel bringt es Shekar, der junge Zeitungsverkäufer im Touristenviertel Kathmandus, Thamel. Er sagt es einem deutschen Touristen, der sich ängstlich und besorgt bei ihm nach der plötzlichen Polizei- und Militärpräsenz vor und im Potala Guesthouse erkundigt, in dem er wohnt.
"Wir wollen Demokratie und keinen König, der auf uns schiessen läßt, ruft Shekar und läuft laut schreiend und schluchzend weg.
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Das sind ungewöhnlich offene Worte in einem Land, in dem 1990 der uneingeschränkte Herrscher, König Bir Bikram Shah Deva Birendra als eine Verkörperung des Hindu-Gottes Vishnu verehrt wird. In den Zeitungen, die der junge Shekar in Thamel feilbietet, steht davon nichts. Kein Wort von Demokratie, kein Wort von Schüssen, keine Kritik am Königshaus.
Auf den Titelseiten prangt in diesen unruhigen Zeiten Anfang der Neunziger Jahre ein Foto des Königspaares wie es feierlich und mit allem Pomp Orden für Reiter eines militärischen Wettbewerbes verleiht. Auch am nächsten Tag kein Wort von den über einhunderttausend Menschen, die lautstark gegen den König protestieren. Die Zeitungen in Nepal werden zensiert. Kritik am König ist verboten. Verboten ist auch jedes kritische Wort an der Innen- und Außenpolitik des Landes am Fuße des Himalaja.
Auch Militär und Polizei sind für die Presse tabu. Radio Nepal untersteht der Regierung und verschweigt die Unruhen wie die Zeitungen. Alle Oppositionsparteien des Landes sind verboten, darunter die beiden bedeutensten, die Nepal Congress Party sowie die Communist Party of Nepal. Die Menschenrechtsorganisation amnesty international erhebt schwere Vorwürfe gegen die Regierung: Journalisten, Gewerkschaftler und Studenten würden willkürlich inhaftiert und gefoltert. Eine große Anzahl von Menschen sei nach der Verhaftung spurlos verschwunden. Hundert? Tausend?
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Drei Tage später: 9. April 1990: In ganz Kathmandu wird der Strom abgeschaltet. Die Tempel der Stadt, die Märkte, die Gassen und Straßen, die Häuser liegen kurz nach Einbruch der Dämmerung im Dunkeln. Im Radio hat der regierende Außenminister des Landes, Hari Bahadur Basnjet, kurzerhand verkündet:
"Niemand sieht euch! - Die Welt blickt nach Europa!" (Der Fall der Mauer 1989)
Diese düsteren Aussichten verstärken die Wut. Die Dunkelheit und die bitteren Worte aus den Lautsprechern in den Häusern, aus Lautsprechern, die auch auf allen Märkten installiert sind und die man nicht abschalten kann, wie das Licht, aus Lautsprechern, die von den Hügeln auf die Felder schallen, von den Bergen in die Täler, das ganze Kathmandutal anfüllen, sie lösen wütende Proteste aus wie ein Funke ein Pulverfaß entzündet. Mehr als 200.000 Menschen gehen in dieser dunklen Nacht auf die Straßen und Plätze Kathmandus um ihrer Wut Ausdruck zu geben. Mehr als 200.000 Menschen. In ganz Kathmandu leben nur etwa 300.000 Menschen! Und sie alle protestieren gegen die Worte aus den Lautsprechern, gegen den Außenminister, der sie gesprochen hat, gegen den König, gegen die Monarchie überhaupt. Jana Andolaan. Loktantra. Jindabaad. Jindabaad. … … !
Noch in dieser dramatischen Nacht beugt sich der König dem Druck der Menschen auf der Straße und kündigt die Einrichtung eines Mehrparteien-systems an.
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Am nächsten Tag ist der Jubel unbeschreiblich: Die Menschen demonstrieren weiter ihre Forderung nach Demokratie und feiern gleichzeitig ausgelassen diesen 9. April 1990, den Tag der Demokratie in Nepal. Still, geduldig und maßvoll hatte sich die verbotene Opposition des Landes immer wieder um Gehör bemüht. Leise, im Stil des Landes und vergeblich. Für 1990 schien Kampf angesagt zu sein: Warum auch sollte, was in der ehemaligen DDR und in Rumänien mit Ceausescu geschehen war, nicht auch im Himalaja und mit König Birendra möglich sein?
222 Jahre lang hatte die nepalesische Bevölkerung - nur einmal, 1961, kurz unterbrochen von einem schnell wieder endenden demokratischen Schauspiel - eine autoritäre, machthungrige, korrupte und reiche, absolute Monarchie geduldet. Noch heute gilt die Königsfamilie als eine der reichsten Familien der Erde. Das nepalesische Volk dagegen steht an fünfter Stelle der ärmsten Länder.
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Nur wenige Wochen nach den blutigen Demonstrationen vom April 1990 war der Berliner taz-Journalist Niels Gutschow in einem der abgelegensten Winkel des Landes. In Jumla. Jumla bedeutet: Von Kathmandu aus geht man zwei Wochen zu Fuß durch Täler, über Pässe, entlang der Flüsse und Felder. Es gibt keine Straße nach Jumla. Und auch nicht zurück. Nach seiner Rückkehr in die Hauptstadt wollten wir Kollegen nach seiner über vierwöchigen Reise neugierig wissen, ob die Menschen dort im abgelegenen Jumla die revolutionäre Nachricht von der Umwälzung erreicht habe und was sie davon halten.
Natürlich hatte fast jeder im Radio davon gehört und es war bekannt, daß die Lehrer im Hauptort des Distrikts gegen den König und für die Demokratie demonstriert hatten. Aber Demokratie? Was sollte das sein? Niemand in Jumla konnte sich etwas darunter vorstellen. Die Antwort lautete immer und immer wieder:
"Wir sind arm. Die Lehrer brauchen Hühner und die Polizisten Ziegen. Und die kriegen sie auch. Die haben sie ja schon immer von uns erpresst. Warum sollte das plötzlich anders werden mit dieser Demokratie?"
Geduldige Ratlosigkeit in Jumla. Gelassenes Abwarten in Bigu Gomba, Gleichgültigkeit in Arughat oder Langtang, in den unzugänglichen und abgeschiedenen Dörfern abseits des Kathmandutals.
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Nepal liegt zwischen Tibet und China im Norden und Indien im Süden. Das Land am Fuße des Himalaja hat acht Achttausender, darunter den mit 8.850 Metern höchsten Berg der Erde, den Mount Everest. Vielen gilt Nepal wegen seiner großen geografischen Vielfalt als Wunderland. Ein ethnischer Schmelztiegel ist es in jedem Fall. Die 27 Millionen Einwohner sprechen mehr als 90 Sprachen. Kathmandu, die in einem immergrünen, fruchtbaren Tal gelegene Hauptstadt, liegt südlicher als Kairo oder Delhi - und kennt keinen Frost.
Nepal ist anders.
Hier gibt es Fünfsternehotels wie das "Hyatt Regency Kathmandu" oder "Yak&Yeti" und einfachste Gästehäuser wie das Potala Guesthouse im quirlig bunten Touristenviertel Thamel ab drei Euro pro Nacht. Tourismus ist neben Entwicklungshilfe einer der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren. Ziel der jährlich 375.000 Besucher, davon etwa 25.000 aus Deutschland, ist in der Regel eine längere Trekking-Tour im Annapurna- oder Mount-Everest-Nationalpark. Für Bergsteiger ist es ein Shangri La, weltweit gibt es nichts vergleichbar Schönes. Das Land gilt jedoch als eines der ärmsten der Welt. Der Ort Lumbhini im Süden ist Geburtsort Buddhas. Die große Mehrheit der Bevölkerung sind allerdings Hindus.
Nepal war bis zum 18. Mai 2006 das letzte Hindukönigreich der Welt. Eine friedliche Revolution setzte der autoritären Herrschaft des ungeliebten Königs Gyanendra ein Ende. Nach einer demokratischen Massenbewe-gung, die seit dem 6. April 2006 immer lauter nach "Loktantra", also echter Demokratie verlangte, musste der König die Macht über seine 250.000 Soldaten und bewaffneten Polizeikräfte des Landes abgeben, die er zuvor mit grosser Brutalität gegen sein eigenes Volk eingesetzt hatte.
Nepal ist anders.
Es ist eine sehr ungewöhnliche Revolution. Denn genau das ist es. Eine Revolution. Eine friedliche "Rhododendron Revolution" findet seit dem 6. April 2006 hier im Shangri La statt. Die internationalen Medien wie Reuters, BBC, CNN, New York Times, Washington Post und viele andere mehr haben von Mitte bis Ende April 2006 für gut eine Woche ihe Kameras auf Nepal gerichtet oder ihre Reporter-Teams hierher nach Kathmandu geschickt. Das war sehr wichtig und vermutlich mitentscheidend für den Erfolg dieser langsam aber stetig anwachsenden demokratischen Bewegung gegen König Gyanendra und für eine föderalistisch geordnete Republik Nepal.
Die spannendste Zeit in Nepal beginnt aber jetzt erst im Sommer 2007. Das Militär ordnet sich kleinlaut der Interims-Regierung unter und verspricht, die Menschrechte zu achten. Der König zieht noch an ein paar royalistischen Strippen, ist formal aber schon vollkommen entmachtet. Nun geht es zudem an sein wohl Milliarden Dollar schweres Vermögen (genauer gesagt das von ihm geerbte Vermögen seines 237 Jahre alten Shah-Clans), das der skrupellose Herrscher nach dem blutigen Massaker am 1. Juni 2001 von seinem Bruder Birendra und dessen Angehörigen geerbt hatte. Damals sagte er wörtlich: "Dieses Vermögen gehört dem nepalesischen Volk!" - Damals konnte er ja noch nicht wissen, was im April 2006 und danach geschehen würde...
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Nun endlich werden auch die immer noch nicht geklärten Umstände dieses Massakers im Königspalast untersucht (alle Leichen wurden umgehend verbrannt, keine Spuren gesichert). Es gibt Augenzeugen, die der offiziellen Palast-Version („Kronprinz Dipendra erschiesst seinen Vater, den König, die Königin und nahezu alle Blutsverwandte wegen ungewollter arrangierter Hochzeit im Drogenrausch und erschiesst sich danach selbst“) widersprechen, sich bislang aber noch nicht öffentlich geäussert haben.
Dabei handelt es sich um den Schwiegersohn des ermordeten Königs Birendra und seine zwei Töchter, die allesamt Augenzeugen der wilden Schiesserei im Königspalast waren, sie mit viel Glück überlebten und seit nun sechs Jahren im indischen Exil leben.
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Eine zentrale Rolle spielten auch die nationalen Medien. Trotz strenger Pressezensur wurde der ungeliebte Monarch unverblümt kritisiert. Mehr als 400 Journalisten wurden teilweise über Monate inhaftiert, 900 aus ihren Redaktionsstuben gejagt! Dennoch obsiegte die grosse Zivilcourage der Nepali in Stadt und Land, die trotz Ausgangssperren und Schiessbefehl landesweit zu mehreren Millionen auf die Strassen gingen. Es gab 21 Tote im April 2006, deren Fotos nun die Bilder von entmachtetem König und Königin ersetzen.
Überall im Land werden seit dem 18. Mai 2006, dem Tag der Proklamation der "Magna Charta" mit grosser Begeisterung die Begriffe "Royal" oder "His Majesty" überpinselt oder abmontiert. Hier in Nepal kann sich im Moment niemand vorstellen, das Gyanendra auch nur irgendeine repräsentative Funktion behalten wird. Zu tyrannisch war sein autokra-tisches Regime, zu starr sein Sinn, zu machtgierig seine engsten Berater. Über seine Zukunft entscheidet nun ein bereits angekündigtes Refendum aller Bevölkerungsschichten Ende November 2007.
Es herrscht ein überwältigender Optimismus im Land am Fusse des Himalaja, dass der blutige Guerillakrieg maoistischer Rebellen mit 13.200 Toten nach zwölf Jahren nun endlich ein friedliches Ende hat. Die Weichen dafür stehen gut. Die UN kümmert sich mit Zustimmung Indiens um die Entwaffnung der etwa 35.000 Ex-Rebellen und eine drastische Reduzierung des Militärs. Die Interimsregierung hat den Rebellen zudem angeboten, sie in Lohn und Brot zu nehmen und sie in eine verkleinerte Armee zu integrieren. Das Hauptziel der Rebellen, die Abschaffung der Monarchie, wurde erreicht. Nepal ist seit dem historischen 18. Mai 2006 nach Ansicht der meisten politischen Beobachter auf einem guten demokratischen Weg.
Der deutsche Botschafter in Nepal, Franz Ring, ruft am 30. Mai 2006 anlässlich einer Buchvorstellung der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) laut der Kathmandu Post vom 2. Juni 2006 zu ausländischen Investitionen auf: "Die Aussichten für ausländische Investoren sind herrlich, da der Friedensprozess in Nepal begonnen und das autokratische Regime ein Ende gefunden hat." Die Nachbarn Indien und China sind mit 2,5 Milliarden Menschen - fast einem Drittel der Weltbevölkerung - ein lukrativer Markt für in Nepal produzierte Waren, das durch seine geografische Lage privilegiert sei.
Die grosse Mehrheit von ca. 75 bis 80 Prozent der Nepali lebt auf dem Land, die meisten von ihnen auf terrassierten Hügeln wie zum Beispiel in Kristi, einer grossen Ansammlung von verstreut liegenden idyllischen Bergdörfern oberhalb des Ferienortes Pokhara, etwa 200 Kilometer westlich von Kathmandu. Hier in Kristi leben auf neun Verwaltungsbezirke (Wards) verteilt etwa 10.000 Menschen nahezu ohne jede ärztliche oder zahnärztliche Versorgung unter einfachen aber vergleichsweise guten Lebensbedingungen. Es gibt fruchtbare Böden, Trinkwasser von hervorragender Qualität, elektrischen Strom, zwei Handy-Netze und eine (extrem holprige) Busverbindung hinunter nach Pokhara.
Was für das Touristenauge so wunderbar anzuschauen ist, ist harte und gefährliche Arbeit: Die in allen Grüntönen schimmernden Orangenhaine, Mais, Weizen- oder Reisterassen sind sehr schwierig zu beackern. Im Monsun werden Wege, Felder und Häuser regelmässig weggespült.
Um den Kindern den langen und beschwerlichen Schulweg ins Tal hinunter zu ersparen unterstützt der Chiemgauer Jungunternehmer Markus Alexander Wössner nachhaltig den Ausbau einer Grund- und weiterführenden Schule sowie den Bau von Toiletten. Auch seiner Initiative ist es zu verdanken, dass nun weitere Hilfsorganisationen und der Münchener Reiseveranstalter Hauser Exkursionen die Lebenslage der Menschen in Nepal nachhaltig verbessern helfen.
Lebensfreude und Lebensmut der Menschen hier oben in den Bergen um Pokhara sind bei allem Leid ungetrübt. Es wird viel gelacht in den Häusern und in der Schule. Mehr und mehr Kinder geniessen ihre Kindheit und haben eine sehr klare Definition von „Glück“, eben wenn die Familie, die Ziege oder das Büffelkalb gesund sind und der Monsun nach viermonatiger Trockenheit von Oktober bis März rechtzeitig kommt und die drei (!) Ernten pro Jahr gut und üppig sind. Das Leben hier oben auf den Bergen und in den Tälern ist einfach und gut. Namaste - ich grüße den Gott und die Göttin in Dir!"
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Zwei junge Polizisten in hellblauen Uniformen und mit weißen Schirmmützen - beides sichtbare Zeichen der japanischen Entwicklungshilfe und einer neuen Polizei, die jede Erinnerung an Prügel und Schüsse vergessen machen will - zwei so ausgestattete Polizisten diskutieren erregt mit dem Fahrer eines Busses.
Ich gehe etwas näher, wühle mich mit dem Mikrofon durch die Menschenmenge, werde mehr oder weniger sanft geschubst, vorbei an geduldig dahintrottenden Wasserbüffeln, blökenden Ziegen, gackernden Hühnern. Neue Busse kommen an, versperren mit den Weg und die Sicht, hupen und spucken noch mehr Menschen aus um sofort danach lärmend ihre eilige Fahrt fortzusetzen. Diesel & dust.
Ort: Ein Busbahnhof in Kathmandu. Zeit: 7 Uhr morgens im Mai 2007.
Es ist Samstag. Es ist Zeit zu ruhen. - Da sehe ich durch den lichten Staub wie einer der Polizisten energisch mit ausgestrecktem Arm zum Dach eines Busses zeigt. Dort oben stapeln sich Säcke, Körbe, Ziegen und Kinder. Etwa 50 Menschen kauern und klammern sich auf dem Dach aneinander und verfolgen mit sichtbarem Interesse die Debatte. Es geht nämlich genau um sie.
Die Polizisten fordern die Reisenden auf dem Dach des Busses auf, samt Hab und Gut ihre luftige Mitfahrgelegenheit zu verlassen. Diese Aufforderung, die ohnehin keinen Widerspruch zu dulden scheint, wird also umgehend befolgt. Einer nach dem anderen steigt die Leiter am hinteren Ende des Busses herab. Hier packt einer eine Ziege bei den Hörnern. Dort fliegt ein Bündel Hühner durch die Luft. Schwere Säcke, große Körbe und kleine Kinder werden heruntergereicht. Es wird gelacht und gescherzt. Die Lachenden helfen sich gegenseitig und sind guter Dinge.
Das - vorerst - einzige mürrische und ernste Gesicht weit und breit ist das des Fahrers. Denn bezahlt wird ja immer erst bei der Ankunft ;-((
Für die - ehemaligen - Passagiere hoch oben auf dem gelben Bus bedeutet dies alles nichts weiter als eine kleine Verzögerung in ihrem Lauf der Zeit. - Mensch, dann kommen die Hühner eben eine Stunde später zum Markt. Oder leben einen ganzen Tag länger. Wie schön! Oder eine total komplette Woche? Einen ganzen Monat ? Ein gutes Jahr? Ein ganzes Leben?
Da tastet sich auch schon ein zum Bus umgebauter Lastwagen mit der verblassten Aufschrift Möbelspedition Reisner an die geduldig Wartenden heran und wirbt ebenso laut wie inständig hupend um weitere Fahrgäste. Nach einer kurzen Weile sind beide Busse bis auf den letzten Sitz-, Steh- und Dachplatz besetzt. Abgefahren wird ja immer erst, wenn der Bus voll ist. Ob dazu auch das Dach des Vehikels zählt, entscheidet der Fahrer. Oder die Polizei. Aus den offenen Fenstern blicken lachende Gesichter.
Durch den Motorenlärm höre ich das Wort, das ich nun schon kenne: Namaste - ich grüße den Gott und die Göttin in Dir!"
